Glaukom: Miniaturisierung in Diagnostik und Therapie

2022-10-22 21:20:55 By : Mr. Rain tan

Innovativ ist die intraokulare Druckmessung per Chip sowie die Drucksenkung mit einem Mikrobypass von der Vorderkammer in den Schlemmschen Kanal.

Die Messung des Intraokulardrucks (IOD) dauert rund drei Sekunden – bei regelmäßiger Kontrolle alle Quartale beim Augenarzt werden pro Jahr also in 12 Sekunden Daten eines Parameters erfasst, der als Hauptrisikofaktor einer der gefährlichsten Augenerkrankungen gilt: das Glaukom. Zudem ist es ein Faktor, den man therapeutisch angehen kann, in Form vom drucksenkenden Medikamenten (Augentropfen) und mit Operationen, die das gleich Ziel haben: den IOD so weit zu reduzieren, dass er in einem individuell „sicheren“ Bereich liegt, was bei manchen Patienten bei 18 mmHg, bei anderen bei 14 mmHg oder noch tiefer liegen mag.

Die stichprobenartige Evaluierung des Augeninnendrucks wird schon seit längerem von Ophthalmologen als eine Crux in der Betreuung von Glaukompatienten erkannt. Ähnlich wie der Blutdruck weist auch der Augeninnendruck bei vielen Betroffenen ausgeprägte circadiane Schwankungen auf. In den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass starke Fluktuationen des IOD möglicherweise bei zahlreichen Patienten nachteiliger sind als ein traditionell „zu hoher“, aber konstanter Augeninnendruck.

Bei Patienten, die zu Hause über 24 Stunden unter ärztlicher Anleitung regelmäßige Selbstdruckmessungen vornahmen, hatten jene mit kräftigen Druckschwankungen ein fast fünffach höheres Risiko einer progressiven Schädigung der Netzhautaxone – und damit dem klinischen Befund des Glaukoms, fortschreitende Gesichtsfeldausfälle, im schlimmsten Fall bis zur funktionellen Erblindung – als die Quartile der Patienten mit den geringsten circadianen Fluktuationen.

Doch nicht nur die Schwankungen des Augeninnendrucks entziehen sich der Diagnostik. Die Spitzendruckwerte von rund zwei Drittel aller Patienten entgehen der augenärztlichen Überwachung, da sie nachts oder zu Zeiten auftreten, in denen man nicht in der augenärztlichen Praxis sitzt. Auf der Tagung der American Aacdemy of Ophthalmology (AAO) in Las Vegas nannte Kaweh Mansouri (Lausanne und Denver) Glaukom denn auch zutreffend „eine Krankheit, die nicht schläft“.

Die Bemühungen, den IOD umfassend zu dokumentieren, stehen nun vor einer neuen Epoche. In der Vergangenheit hat man verschiedene Selbsttonometer eingeführt, aber ein Durchbruch dieser Technologien scheiterte an einer Reihe von Faktoren – neben den Kosten und den Problemen der Handhabung durch ältere Patienten vor allem an der Notwendigkeit der Applikation eines Lokalanästhetikums, das an der Hornhaut zu Schädigungen führen kann.

Bei einer Messeinheit in einer Kontaktlinse bleibt es unsicher, welche Faktoren (zum Beispiel seitens der Hornhaut) neben dem IOD die Messwerte beeinflussen. Einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen unregelmäßigen und wenig repräsentativen Messungen einerseits und den Schwierigkeiten mit bisherigen Selbstmessmethoden andererseits bietet ein intraokularer Drucksensor, der hauchdünn ist und und hinter die Iris positioniert wird. Die ersten Erfahrungen mit der neuen Technologie liegen mit Patienten vor, deren Augen einem ophthalmochirurgischen Eingriff und damit ohnehin einer minimal-invasiven Eröffnung unterzogen wurden. Es handelte sich um Patienten, an denen eine Kataraktoperation vorgenommen wurde und die neben dieser meist altersbedingten Linsentrübung ein behandlungsbedürftiges Glaukom haben. Oder, um die im Volksmund üblichen Begriffe zu benutzen: die an grünem Star und grauem Star gleichzeitig leiden beziehungsweise litten (die Katarakt ist im Gegensatz zum Glaukom völlig heilbar). Der Sensor wird dabei ähnlich wie die Introkularlinse implantiert und verbleibt im Auge, wo er weder funktionell noch kosmetisch stört.

Der Drucksensor unter der Bezeichnung Eyemate ist hauchdünn und hat einen Durchmesser von elf Millimeter. Er besteht aus einem Messmodul und einer Mikrospule zur Energieversorgung, die in biokompatiblem Silikon-Kautschuk eingebettet sind. Die Messung durch den Patienten erfolgt über ein externes Handgerät, ähnlich einer TV-Fernbedienung, das der Patient kurz in Augenhöhe hält und betätigt. Mittels eines GSM-Moduls am Handgerät werden die Daten über eine kabellose Telefonleitung auf eine internetbasierte Datenbank übertragen.

Der Arzt hat somit die Möglichkeit, jederzeit auf die Daten zuzugreifen und sich über den Krankheitsverlauf des Patienten zu informieren beziehungsweise er kann automatisierte Warnmeldungen erhalten, wenn es zum Beispiel zu unerwarteten Druckspitzen kommt, die eine Therapieangleichung erfordern. Die Druckmessungen können zu jeder Zeit bequem erfolgen: Für eine nächtliche Messung, um etwaigen nocturnalen Druckspitzen auf die Spur zu kommen, kann der Patient im Bett liegen bleiben (was gegenüber der klassischen Messung nach Goldmann an der Spaltlampe den Vorteil hat, dass die Orthostatik das Ergebnis nicht beeinflusst).

„Dieses System“, so fasst es eine Autorengruppe der Universitätsaugenklinik Aachen zusammen, die Eyemate bei sechs Patienten implantiert haben, „ermöglicht erstmals die langfristige Erfassung beliebig vieler Augendruckwerte zur Nacht- und Tagzeit, auch wenn sich die klinische Wertigkeit, insbesondere im Vergleich zur Goldmann-Applanationstonometrie, noch zeigen muss.“ Der Direktor der Universitätsaugenklinik Bochum, Prof. Dr. med. Burkhard Dick, der ebenfalls erste Erfahrungen mit Eyemate gesammelt hat, nennt das Potenzial dieser Messmethode „revolutionär“. In der Entwicklung sind nach Angaben des Herstellers (Implandata, Hannover) jetzt Sensoren, die unabhängig von einer Kataraktoperation eingeführt und an anderer Stelle, möglicherweise im suprachoroidalen Raum, implantiert werden können, was jüngeren Glaukompatienten zugute kommen könnte, die noch weit vom typischen Alter einer Kataraktoperation entfernt sind.

Implantierbare Mini-Implantate haben nicht nur in die Diagnostik, sondern auch in die Therapie des Glaukoms Einzug gehalten. In der Glaukomchirurgie ist die Trabekulektomie, bei der ein Abfluss des Kammerwassers unter die Bindehaut gelegt wird, seit vielen Jahren der Goldstandard, weist allerdings ein gewisses Komplikationspotenzial (Vernarbungen, Infektionen, Induktion der Kataraktbildung) auf. Bei Patienten, die keine sehr massive Drucksenkung benötigen, versuchen neue minimal-invasive Methoden die natürlichen Abflusswege im Auge zu verbessern.

Ein heparinbeschichtetes Titanobjekt der Maße 1 mm Länge, 0,3 mm Höhe und 60 µg Gewicht ist verschiedentlich als das kleinste heute in der Medizin gebräuchliche Implantat beschrieben worden. Dieser iStent – funktionell dem viel größeren Stent an den Koronargefäßen nicht unähnlich – stellt eine Verbindung, einen Mikrobypass, zwischen der Vorderkammer (zwischen Hornhaut und Pupille) und dem Schlemmschen Kanal her. Dabei wird das trabekuläre Maschenwerk umgangen, das häufig ein Abflusshindernis für das Kammerwasser darstellt. Der Münchener Ophthalmologe Tobias Neuhann hat den iStent in 62 Augen (von 43 Patienten) implantiert, wie er auf einer Tagung europäischer Ophthalmochirurgen (ESCRS) in Barcelona berichtete. Der Augeninnendruck, der bei diesen Patienten vor der Operation im Schnitt bei 24 mmHg lag (die Grenze wird traditionell bei etwa 20 mmHg angesetzt), lag drei Monate nach der Implantation im Mittel bei 14,2 mmHg.

Die Drucksenkung ist offenbar dauerhaft: Nach drei Jahren hatte das Kollektiv einen durchschnittlichen Augeninnendruck von 14,9 mmHg. Man kann nach Neuhanns Erfahrungen davon ausgehen, dass das Anlegen des Mikro-Bypasses direkt von der Vorderkammer in den Schlemmschen Kanal aufgrund des verbesserten Ausflusses des Kammerwassers zu einer langfristigen Senkung des Augendrucks um rund 33 Prozent führt. Dies entspricht in etwa der maximalen Wirkung von Medikamenten zur Glaukombehandlung. Neuhanns Patienten brauchten im Schnitt vor der Operation zwei Medikamente zur Drucksenkung, drei Jahre nach der Implantation des iStent war die durchschnittliche Zahl von antiglaukomatösen Präparaten in dieser Gruppe auf 0,3 gesunken und 58 Prozent der Patienten kamen durch die vom iStent bewirkte Druckreduzierung ganz ohne IOD-reduzierende Augentropfen aus.

Ähnlich wie der Drucksensor wird der iStent bisher meist bei Patienten implantiert, die sich ohnehin wegen einer Katarakt einem operativen Eingriff unterziehen müssen; eine Weiterentwicklung, die iStent inject, wurde für eine von dieser Indikation unabhängige und minimal-invasive Implantation entwickelt. Die iStents sind die bisher einzigen von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zugelassenen Implantate zur mikro-invasiven Glaukomchirurgie; andere Produkte befinden sich in der klinischen Erprobung. Ein Xen genanntes Gelimplantat etwa leitet das Kammerwasser nicht in den Schlemmschen Kanal, sondern unter die Bindehaut, ein anderer Stent (CyPass) leitet das Kammerwasser in den suprachoroidalen Raum

Dr. med. Ronald D. Gerste

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